Wanderung im ungehobelten Emmental vom 17. April

 

Nachdem Lina, Sepp und Walter in Olten zu uns gestossen sind, ist die Gruppe mit 16 Personen komplett. Bei fröhlichem Geplauder erreichen wir so nebenbei und vor allem mühelos, das lieblich im Herzen des Emmentals eingebettete Dörfchen Ramsei. Kaffee und Gipfeli sind nun vor dem Start der Wanderung gerade richtig, denn für einen „Suuren Ramseier“ so ganz ohne Durst ist es noch etwas zu früh. Während dem Anstieg auf den Ramseiberg lässt sich die ungehobelte Landschaft mit der Emme im Haupttal und die durch Bäche abgetragenen Seitentäler immer besser erkennen. Hier beginnt auch der Bauernlehrpfad mit den geschickt gestellten Fragen über Feld, Wald und Hof, über den heutigen Broterwerb des Emmentaler Bauern. Auf der ersten Anhöhe am Waldrand orientiert Ueli über Land und Leute. Mit Ausnahme von Schwingerkönigen ist der im freiburgischen Murten geborene Albert Bitzius, besser bekannt unter dem Pseudonym Jeremias Gotthelf, auch heute noch der populärste Emmentaler. Seine 13 Romane und 75 Erzählungen, geschrieben in nur 20 Jahren, verkörpern ein sozialpädagogisches Werk aus dem Spannungsfeld des damaligen Agrarzeitalters und der beginnenden industriellen Revolution. Er verstand die Bauernwelt mit ihren Mägden, Knechten und Verdingkindern wie kein zweiter. Den schlitzohrigen, geizigen Bauern und den raffsüchtigen Gnädigen Herren in Bern, den Von, den Auf und Zu begegnete er mit provokantem Ton, was ihm gelegentlich einen saftigen Nasenstüber oder mistkübelweise Rügen eintrug. Für die Fortsetzung des gesellschaftlichen Themas mit adeligem Abstammungsausweis ist dann Fritz, unser ältester Teilnehmer, auf folgende schalkhafte Weise besorgt: Drei frisch verheiratete Blondinen sind auf dem Marktplatz in ein angeregtes Gespräch vertieft. Die erste erzählt, ihr Mann sei etwas Besseres, er sei ein Von. Da ereifert sich die zweite, das sei gar nichts, ihr Angetrauter sei ein Von und Auf. Gelassen meint dann die dritte: Und meiner ist auf und davon. - Frühling ist es hier oben auf einer Höhe zwischen 700 und 800 Metern noch nicht geworden. Riesige Scheunen und behäbige Häuser mit grossartigen Gärten davor säumen den Wanderweg. Dass die Emmentaler „wärchen“ können, beweisen mächtige Lager von Tannenstämmen am Waldrand, prächtig geschnittene Obstbäume und riesige, braunsaftende Miststöcke. Wir wandern auf einer grandiosen Aussichtsterrasse. Die Alpenkette hätte man imposant vor der Nase. Leider reicht unsere Sicht nur bis zur verschneiten Schrattenfluh; was rechts davon liegt, verschwindet hinter Wolken und Nebel. Wir sind zeitlich zu früh um vom Angebot der Bäse-Wirtschaft auf dem Ranflühberg zu profitieren. Von dort steigen wir ab zum Gehöft Obersbach mit seinem schönen Riegelhaus und weiter auf dem Talboden zum Weiler Ried mit stattlichen Bauernhäusern. Die zwischen 1776 bis 1858 erstellten Bauten wurden mit Malereien und Inschriften als auch mit Meien und riesigen Gärten schön gestaltet. Gebauert wird in dieser Siedlung nicht mehr auf allen Höfen. Die Kulisse erinnert an gotthelfsche Zeiten. Die Darsteller jedoch sind vom Fortschritt vertrieben worden. Es sind auch Fremde aus der Stadt eingezogen. Vor einem Hauseingang ist ein Schild mit der Aufschrift „emmentaler versicherung“ angebracht. Beim Taleinschnitt Frittenbach steigen wir hoch zu den Gehöften auf dem Hochfeld. An einer windgeschützten Stelle am Waldrand schmeckt das Mitgebrachte aus dem Rucksack besonders gut. Später, nach dem Riblenberg wird zwischen kahlen Laubbäumen und Tannenwald im Tal unser Ziel, Langnau, sichtbar. Ueli hat uns nicht nur auf einer schöne Wanderung geführt. Er hat uns zugleich ein Stück Heimat mit einzigartigen Bauerngeschichten eröffnet. Dafür danken wir alle recht herzlich.

Hansruedi Odermatt